Die Kontroverse um Influencer und chronische Krankheiten: Werbung für Pharmafirmen und Awareness-Kampagnen
Über Healthfluencer haben wir immer mal berichtet und auch über die Schwierigkeit zur gesunden, rechtlich sicheren Abgrenzung. Heute wollen wir eine kleine Nische der Med-, oder Healthfluencer ansehen, die sich ethisch am äußeren Rand bewegt, selbst erkrankte Influencer mit Kooperationsverträgen von Pharmafirmen. Klingt spannend? Ist es auch 😉
Wie schon so oft müssen wir feststellen, dass es nichts gibt, was es nicht gibt, so ähnlich fühlt sich das hier auch an. Schwer erkrankte Menschen teilen ihren Alltag und ihren Krankheitsweg in den sozialen Medien. Und weil der Mensch von Natur aus extrem neugierig ist, haben diese herzerwärmenden Accounts unfassbar viele Follower. Teils aus Mitleid, teils aus eigener Erfahrung und fast immer weil hier mit Sicherheit ständig etwas passiert, wie in einer guten Vorabendserie. Und wie immer, wenn eine hohe Followerzahl auf einen spannenden Inhalt trifft, ist die Werbewelt nicht weit. Die Welt des Influencer-Marketing hat sich seit wenigen Jahren stark erweitert, indem auch Personen mit chronischen Krankheiten zu Markenbotschaftern für Pharmaunternehmen wurden. Auf den ersten Blick erscheint dies als eine Möglichkeit, das Bewusstsein für seltene oder chronische Krankheiten zu fördern, die sogenannten Disease Awarness Kampagnen. Doch gleichzeitig wirft es große ethische und gesundheitliche Fragen auf.
Wir wissen ja alle, dass Influencermarketing extrem lohnenswert ist – für die Werbetreibenden. Laut Statista erreichte das geschätzte Marktvolumen für Influencer-Marketing in Deutschland, Österreich und der Schweiz im Jahr 2020 knapp eine Milliarde Euro. Nicht schlecht in Zeiten, in denen der Bund an jeder Ecke spart, z.B. in der Bildung. Schon oft gesagt, gerne wiederholt, der § 11 HWG. Laut ihm dürfen etwa bei der Werbung für rezeptfreie Arzneimittel keine Experten oder Krankengeschichten vorgeschoben werden, die den Verbrauch anregen könnten. Auch Prominente dürfen Arzneimittel nicht unmittelbar empfehlen. Mitte der 2010-er gab es einen öffentlichen Eklat um die Schauspielerin Ursula Karven, die hatte nämlich genau das getan und Werbung für DHU-Schüsslersalze gemacht. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat sich eingemischt und mit einem Urteil die Werbung unterbunden. Zu große Reichweite, zu motivierend für den Verbrauch. Oho, wer von euch kennt den Ursula Karven? Fragen wir doch mal die Instagramzielgruppe Gen Z…
Was Prominenten nicht dürfen weil die Reichweite zu groß ist, dürfen Influencer auch nicht. Das hat nur noch niemand so richtig offiziell verboten, sprich, wir warten schon recht lange auf ein Urteil das die Lage endlich mal regelt. Aber solange wir Hatespeech bei f*book noch für eine Anzeige bei der Polizei ausdrucken müssen, können wir uns recht sicher sein dass diese Instagram einfach noch nicht entdeckt hat. Und das denken sich auch die Pharmafirmen.
Die Rolle von Influencern bei Diseases-Awareness-Kampagnen
Was bedeutet das im Detail? Influencer, die selbst an chronischen Krankheiten leiden, nutzen ihre Präsenz in den sozialen Medien, um über ihre eigenen Erfahrungen zu berichten und die Aufmerksamkeit auf seltene Krankheiten zu lenken. Diese Awareness-Kampagnen haben das Potenzial, die Öffentlichkeit auf Krankheiten aufmerksam zu machen, die oft wenig Beachtung finden. Das ist natürlich nicht schlecht. Es gibt Menschen, die viele Jahre ihres Lebens eine Diagnose für ihr Leiden suchen und Niemand kommt drauf. Nicht selten sind es dann Zufälle oder ein Arzt hat irgendwo etwas gelesen, dass ihn an diesen Patienten denken lässt. Je mehr Aufmerksamkeit für seltene Erkrankungen vorhanden ist, desto eher wird sie auch gesehen. Für die erkrankten Influencer ist es eine Einnahmequelle. Nicht selten haben sie ihren Job verloren oder können aufgrund der Grunderkrankung nicht mehr in ihren Berufen arbeiten. Hier kann es eine gute Lösung sein um weiterhin gut überleben zu können. Und für die Industrie? Ist es unfassbar goldwert.
Agenturen für erkrankten Influencer
Richtig gelesen, es gibt Agenturen, die erkrankte Menschen an Werbetreibende vermittelt. Hier findet jeder die passende Krankheit für seine Kampagne. Und wer hier durch die Seiten stöbert, der erkennt sicher den einen oder andere Influencer wieder und fragt sich nun, wo genau er den Hinweis zur Werbung überlesen haben mag. Hier wird mit großen Gefühlen gearbeitet… Wollt ihr euch so eine Agentur einmal ansehen? Healthy Content-Sick Ideas ist eine davon.
Die kommerzielle Seite: Werbung für Pharmafirmen und Einkommen der Influencer
Es zeigt sich also eine zunehmende Kommerzialisierung, wenn Influencer Werbung für Pharmaunternehmen machen und für Produkte oder Medikamente bezahlt werden, die zur Behandlung ihrer eigenen Krankheit dienen. Dies kann zu ethischen Bedenken führen, da es den Eindruck erweckt, dass die Authentizität der Botschaft durch finanzielle Anreize beeinflusst wird. Natürlich ist niemand ganz unvoreingenommen, wenn das Medikament einem gerade das Leben rettet. Hier ist aber ein großes Problem der Veralgemeinerung, was dem einen hilft, kann dem anderen Schaden. Ich hab bislang zumindest keine offizielle Markenwerbung für Medikamenten mitbekommen, wohl aber den Wunsch vieler Leser*innen von einschlägigen Posts, sich über Privatnachrichten Tipps zu holen oder auszutauschen. Streng genommen, fällt das natürlich auch unter Werbung. Hier wäre es interessant zu wissen, wie solche Werbeverträge aufgebaut sind und was sie genau beinhalten. Die Grenzen zwischen persönlichem Austausch und bezahlter Empfehlung verschwimmt, das ist für alle Konsumenten eine Katastrophe.
Die Kontroverse und ethische Überlegungen
Werbung für Medikamente durch Influencer mit chronischen Krankheiten kann zu Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit und Unvoreingenommenheit der vermittelten Informationen führen. Sind die Aussagen und Empfehlungen der Influencer damit wirklich unabhängig oder werden sie durch finanzielle Vereinbarungen mit Pharmafirmen beeinflusst? Was ist das Interesse hinter der Werbung und wer profitiert wirklich? Und inwieweit sollten Influencer die Verantwortung für die Richtigkeit und Unvoreingenommenheit ihrer Botschaften übernehmen? Und irgendwie hinterlässt der Gedanke an das finanzielle Konstrukt bei mir einen unangenehmen Beigeschmack.
Eine ausgewogene Perspektive auf Diseases-Awareness-Kampagnen und Influencer-Werbung für Pharmafirmen
Es ist wichtig, eine ausgewogene Perspektive auf diese brisanten Themen zu haben. Während Diseases-Awareness-Kampagnen durch Influencer das Bewusstsein für seltene Krankheiten stärken können, müssen wir gleichzeitig die ethischen und gesundheitlichen Aspekte der Werbung für Pharmafirmen durch Influencer mit chronischen Krankheiten kritisch hinterfragen. Und ungeklärt ist zudem, in welchen Konflikt diese Art der sehr subtilen Werbung mit dem Heilmittelwerbegesetz steht. Influencermarketing hat alle Werbekonzepte der letzten Jahrzehnte sehr zum Verbrauchernachteil gewandelt. Ohne Filter wird stundenlang und gerne Werbung konsumiert, die von Sympathieträgern mit Schleichwerbungsmethoden verabreicht werden. Unsere Gesetzgebung ist an den nötigen Verbraucherschutz zwar angepasst, momentan werden aber viel zu wenig Straftaten wirklich verfolgt und in Urteilen verboten. Der Weg dahin wird noch lang sein.
(Quelle: https://www.healthycontent.de/recherche-im-patientinnennetzwerk/, https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2015/az-19-2015/ursula-karven-zu-motivierend-fuer-dhu)