Bei „Barriefreiheit“ denken wir ja zunächst an den Aufzug im Treppenhaus oder die Rampe für Rollstuhlfahrer*innen die in unsere Praxis wollen. Das ist soweit auch richtig. Wenn wir aber eine Online-Präsenz mit Informationen anbieten, dann müssen wir auch in der virtuellen Welt dafür sorgen, dass alle Menschen diese Infos bekommen können. Und das meine Lieben, ist keine freiwillige Geschichte, nein, auch hier gibt es ein Gesetz (Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)) bzw. eine EU Richtlinie (2102). Wer hätte das gedacht… Spitzt die Ohren wenn ihr eine Webseite betreibt, es wird aufregend!
Seit dem 23. September 2018 sind alle öffentlichen Stellen im europäischen Raum dazu verpflichtet, ihr digitales Angebot barrierefrei zu gestalten. Zu diesem Angebot gehören alle internen und externen Office-Dokumente, PDFs, Intra- sowie Extranets. Öffentlich bedeutet in diesem Fall, dass die Internetseite ganz oder zum Teil mit öffentlichen Geldern finanziert wird. Verpflichtet sind aber auch alle anderen, wenn sie wichtige Informationen wie Terminbuchungen anbieten oder Online-Shops betreiben. Und damit wird es für uns spannend, denn viele Heilpraktikerpraxen bieten genau diesen Service an.Barrierefreiheit heißt nicht nur, dass wir es mit eventuellen Farbfehlsichtigen zu haben könnten, es heitß schlichtweg, dass JEDER in der Lage sein muss an die wichtigen Informationen zu kommen, ob er sehen kann oder nicht, ob er Hände hat oder nicht, ob er hören kann oder nicht. Hier muss unterschieden werden, was wirklich wichtig ist. Wir müssen hier nicht die Riesengeschütze auffahren und unsere komplette Seite mit Vorlesefunktion anbieten, aber die wichtige schon. Es gibt eine sehr umfangreiche Auflistung, was Barriefreiheit bedeutet, die könnt ihr hier einsehen und in 98 Prüfschritten die eigene Seite checken. Und hier kannst du dir einen Richtlinienkatalog herunterladen. Das klingt jetzt leider leichter, als es in der Realität ist, irgendjemand muss den ganzen Kram ja auch umsetzen. Und extrem wenig Webdesigner haben das bislang auf dem Schirm, und das obwohl die Übergangsfrist 2025 abläuft. Es ist also genau jetzt der Zeitpunkt gekommen, sich mit Stift und Papier hinzusetzen und die eigene Webpräsenz genau unter die Lupe zu nehmen. Und im Zweifel die Terminbuchung vielleicht einfach nicht mehr anzubieten. Oder die Pastelltöne komplett runter zu nehmen, dass ist für Farbfehlsichtige sowieso der Endgegner.
An dieser Stelle möchte ich mich jetzt von dem Riesenthema „Barrierfreiheit“ auf das etwas überschaubarere Thema „Farbfehlsichtigkeit im Internet“ stürzen, das mag ich nämlich. Und das wäre für mich der allererste Schritt in Richtung „Barrierefreiheit auf der Webseite“.
Ein nicht geringer Anteil unserer Mitmenschen, ist mit einem Defekt des Sehorgans ausgestattet. Angeboren oder erworben. 8% aller Männer und 0,4% aller Frauen sind farbfehlsichtig und es ist unfassbar, wie schwer es ihnen im Alltag gemacht wird. Es ist ein leichtes, Design an die Bedürfnisse dieser Menschen anzupassen und es ist meine Aufgabe als Designer, genau darauf ein Auge zu haben und es ihnen nicht unnötig noch schwerer zu machen.
Die Häufung bei Männern liegt daran, dass die Erbanlage rezessiv auf dem X-Chromosom vererbt wird weil da die Sehanlage drauf ist. Da Männer nur ein X-Chromosom aufweisen, ist das Risiko einer Vererbung durch die Mutter, die es auf ihrem 2. Chromosom tragen kann, auf Ihre Söhne sehr viel höher als auf die Töchter. Durch Farbtafeln und Sehtest, lässt sich relativ früh feststellen, ob bei einem Kind ein Sehfehler vorliegt.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass man diese Art der Einschränkung bei seinen Mitmenschen häufig kaum bemerk. Lediglich an vielen Kleinigkeiten, das Zögern an der Ampel, die einfarbigen Bilder, Unsicherheiten in Spielen die mit Farben sind. Farbfehlsichtige weisen meist eine bemerkenswerte Merkfähigkeit was ihre Alltagssituationen betreffen, auf. Sie haben Strategien und Tricks zur Alltagsbewältigung.
Zur Definition; es gibt Menschen die nur in der Lage sind Helligkeiten wahrzunehmen, das sind die „Unbunt-Seher“, das Krankheitsbild heißt Monochromasie. Andere können neben Helligkeiten bestimmte braungelbe Farbnuancen von bestimmten blauen unterscheiden, oder bestimmte rote, von bestimmten grünen. Das ist die Dichromasie. Farbenblind heißt, dass bestimmte Zapfentypen überhaupt nicht funktionieren, alles andere ist eine Farbfehlsichtigkeit. Dann gibt es noch die Nachtblinden, da arbeiten die Stäbchen nicht vernünftig.
Was bedeutet das für mich als Designer und für euch als Webseitenbesitzer? Bei allen Projekten müssen während des Gestaltungsprozesses diese Dinge im Blick behaltenwerden, dass farbenblinde User/Nutzer nicht durch die Farbwahl behindert werden. Das bezieht sich auf Call-to-act experience genau so wie auf das colourmood, es dürfen keine Missverständnisse hervorgerufen werden. Im Idealfall funktioniert ein Branding oder eine Webseite auch in 1c hervorragend, colour ist das nice-to-have. Wichtige Links müssen in einer Farbe sein, die in jedem Fall erkennbar ist. Es gibt unterschiedliche Tools, mit denen ein Design auf mögliche Schwierigkeiten überprüft werden kann, z.B. das Colour Wheel hier. Landkarten sind oft überhaupt nicht zu erkennen. Hier ist es sinnvoll, mit einem ergänzenden Codierschema und erklärenden Texten zu arbeiten. Farben können im Backend nummeriert werden, häufig orientieren sich Farbfehlsichtige am RGB/HEX-Code. Beim erstellen von Farbpaletten ist darauf zu achten, dass helle Mischfarben generell ein Problem darstellen können, grau, rosa, und hellblau sind kaum auseinander zu halten. Das ist alles kein Problem, man muss es nur wissen.
Im „How to Colour“ Kurse werden wir übrigens auch deine Farbpalette auf Barriefreiheit testen und ich zeige euch dort, wie ihr eure Drucksachen und Visitenkarten selber prüfen könnt. Wenn man das Thema erst einmal auf dem Schirm hat, dann macht man das irgendwann ganz automatisch. Wir entwickeln einen regelrechten Blick dafür. Ich bin jetzt sehr gespannt, was ich für Rückmeldungen über eine Webseiten bekomme 🙂